Hallo,
ja, jetzt komme ich wieder mit so einem Plastikgelump um die Ecke. Wer Lomo hört, denkt an Aus-der-Hüfte-Schießer, Filmverschwender, Holgas oder noch Schlimmeres... „Schuld“ daran ist wohl die vollautomatische LC-A, die heute zu ganz erstaunlichen Preisen den Besitzer wechselt (Warum?! Ist doch langweilig, außerdem ist's eh eine Cosina), aber auch die gute alte Smena 8M/Symbol wird gern als Toy-Camera durch die Gegend geschlenkert, ist ja auch so witzig, das Teil.
Das ist aber ungefähr so lustig wie Trabiwitze und geht am Kern der Sache vorbei. In Wirklichkeit waren die Smenas ernst gemeinte vollmechanische Volkskameras mit allen Einstellmöglichkeiten, die eine richtige Kamera haben muß. Auch war die Smena 8 eine der ersten Kameras, mit denen die russische Kameraindustrie sich auf westliche Exportmärkte wagte, sie wurde entweder als Smena 8 (in lateinischen Buchstaben) oder als Cosmic 35 vermarktet. Sogar eine Ausführung mit dem Quelle-Label Revue soll es gegeben haben, ob sie weitere Verbreitung gefunden hat, ist mir jedoch unbekannt, sie soll sehr rar sein.
Meine ist ein russisches Modell, Ende der 90er auf einem Flohmarkt gekauft, es steht in kyrillischen Buchstaben „Смена-8“ darauf. Den Namen „Смена“ kann man übrigens mit „Nachwuchs“ übersetzen, womit die Zielgruppe schon ganz gut umrissen ist – eine Kamera, mit der junge Leute fotografieren lernen sollten, haben wir hier wohl vor uns. Was der aufstrebenden Foto-Jugend da geboten wurde, möchte ich hier einmal näher beleuchten.
Aber fangen wir mal von vorne an: Die erste Kamera dieses Namens war ein Mini-Falter für 35mm-Rollfilm (Kodak 828), inspiriert von der Kodak Bantam. Die erste Smena für den heute üblichen Kleinbildfilm kam 1953 auf den Markt, eine Übersicht über alle Smenas gibt es hier.
Meine Smena 8 wurde von 1963 bis 1971 hergestellt und ist für eine Plastikkamera der unteren Preisklasse bemerkenswert ausgestattet: An Zeiten bietet sie B, - 1/15, 1/30,1/60, 1/125 und 1/250s, alle Zeiten sind blitzsynchronisiert (Anschluß über PC-Buchse), nicht einmal ein Selbstauslöser fehlt. Die Blenden gehen von 4 bis 16, die Brennweite ist mit 40 mm schon leicht weitwinkelig. Das Objektiv ist ein vergütetes Triplet vom Typ T-43. Was fehlt, sind sämtliche Bedienungshilfen zur Licht- und Entfernungsmessung, da muß man einfach schätzen, die Symbole späterer Smenas hat die 8 auch noch nicht. Dafür ist sie deutlich besser verarbeitet als das heute noch allgegenwärtige Nachfolgemodell 8M, welches ansonsten bis auf den Selbstauslöser technisch identisch ausgestattet ist – und sie sieht, wie ich finde, auch viel hübscher aus.
Das Fotografieren mit der Kamera ist kein Hexenwerk. Man sollte allerdings beachten, daß der Verschluß noch separat gespannt werden will und daß keine Doppelbelichtungssperre vorhanden ist. Die Blende stellt man mit einem gerändelten Rädchen direkt ums Objektiv ein, das geht durchaus, ohne auf das Objektiv zu packen. Das Metallrad um den Objektivtubus zur Zeiteneinstellen liegt trotzdem gewohnter in der Hand. Die Fokussierung ist sehr leichtgängig, die Schärfentiefeskala halte ich jedoch für fragwürdig, denn wenn man ihr folgt, müßte z.B. bei Blende 16 immer alles scharf sein. Die Nahgrenze beträgt einen Meter.
Das Objektiv ist natürlich kein Wunderwerk an Präzision und Schärfe, aber es hat seinen Charme und einen eigenen Look. Man kann sagen, daß ein leichter Weichzeichner serienmäßig dabei ist und Farben kommen sehr intensiv rüber. Vignettieren tut es nicht und die Abbildungsqualität ist besser, als man zunächst annehmen würde. Das mag ein Grund für die Beliebtheit der nachgefolgten 8M/Symbol mit identischem Objektiv bei den Hüftschießern sein – Drogeriefilm rein und los geht der Spaß. Angenehm ist, daß der Verschluß bei allen Zeiten erstaunlich sanft und vibrationsfrei abläuft. Da die Kamera mit Tasche ungefähr 500 Gramm wiegt, ist die Verwacklungsgefahr nicht groß, zumal das Gehäuse für Rechtshänder sehr griffgünstig gestaltet ist. Die Sucherparallaxe ist auch viel weniger stark ausgeprägt als bei der 8M, da der Sucher weiter mittig angeordnet ist.
Wozu kann man das Teil nun einsetzen? Ich habe die Kleine schon in Farbe, SW, für Doppelbelichtungen und bei schlechtem Wetter (die Bereitschaftstasche ist auch aus Plastik) eingesetzt, von Street bis hin zu Familienfotos war schon alles dabei. Die Bilder mögen nicht High-End-Ansprüchen genügen, aber, wie gesagt, sie haben ihren Charme. Irgendwie macht mir das Teil halt Spaß.
Und – um auf den Nachwuchs zurückzukommen – zum Fotografierenlernen kann man den kleinen Plastikapparat durchaus verwenden. Schließlich gab es mal eine Zeit, als eine SLR locker das Monatseinkommen einer Familie kostete...
Viele Grüße
Nils
PS:
Bedienungsanleitung für die Exportversion Cosmic 35: http://www.butkus.org/chinon/cosmic-35/cosmic-35.htm
Bilder:
- Jahrmarkt: 400er Drogeriefilm, Offenblende und 1/15s
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