#1

Adox Golf Klappkamera 6x6

in Erfahrungsberichte 05.01.2010 06:29
von Gelöschtes Mitglied
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Vor ein paar Tagen kam sie zu mir, die Adox Golf mit 6.3/75 Adoxar Objektiv und Vario-Verschluss. Also das am weitesten verbreitete Modell mit sehr einfacher Ausstattung. In der 50ern hat sie 49 Mark gekostet, ich habe noch 4,29 Eur. dafür bezahlt (Ebay). Ein Dachbodenfund vom verstorbenen Vater des Verkäufers, der sie mir persönlich übergeben hat, da er nicht weit weg wohnt.

Optischer Zustand fast neuwertig, bis auf eine kleine Macke an der Belederung der Frontklappe. Auch die Bereitschaftstasche zeigt kaum Gebrauchsspuren. Der Balgen ist aus Leder, unbeschädigt und lichtdicht, anders als bei so vielen Isoletten. Er ragt nicht in den Strahlengang und ist absolut gerade ausgerichtet. Ach, hätten doch auch die Agfa-Falter solche Balgen! Es gibt einen Blitzkontakt, Zubehörschuh und Anschluss für Drahtauslöser. Kein Selbstauslöser. Die Blende wird wie üblich mit einem kleinen Schieber von 6.3 bis 22 stufenlos eingestellt. Der Sucher ist einfach, Marke Fernrohr, aber er zeigt einen recht genauen Bildausschnitt an. Damit lässt sich tatsächlich arbeiten, wiederum im Gegensatz zu vielen anderen Kameras wie meine Horror-Agfa-Record. Der Auslöser sitzt etwas versteckt oben zwischen Sucher und Transportknopf, etwas gewöhnungsbedürftig, aber es geht. Auch die Testaufnahmen mit 1/25 Sekunde sind mir verwacklungsfrei gelungen. Es gibt eine Doppelbelichtungssperre und einen roten Anzeigepunkt bei transportiertem Film. Dann wird der Verschluss separat gespannt und man kann auslösen. Doppelbelichtungen ohne Filmtransport kann man jederzeit mit einem Drahtauslöser machen. Das rote Sichtfenster hinten für den Weitertransport ist groß und bei Tageslicht gut ablesbar. Es wird mit einem Schieber verschlossen. Lichteinfall habe ich nicht feststellen können. Filmeinlegen ist dank eines raffinierten Klappmechanismus der Spulenaufnahmen ein Kinderspiel, gut gemacht. Die Filmführung ist einwandfrei, der Film wird kerzengerade durchgezogen. Die Haptik der Adoxe ist zwar deutlich billiger als die der Agfas, aber in der Praxis diesen m.E. überlegen.

Die akustische Messung der 3 Zeiten (25, 50, 200) ergab nur geringe Abweichungen, so dass eine Verschlussreinigung überflüssig war. Allerdings waren die Linsen bei der Durchsicht neblig trübe belegt, jedoch völlig kratzerfrei. Also Objektiv ausbauen und reinigen. Dazu muss man nur von hinten die Ringmutter lösen und kann das Objektiv vorne entnehmen. Dann kann man auch gleich hinter der Klappe saubermachen. Der Entfernungsring vorne wird mit 3 kleinen Madenschrauben gehalten, dann kann man das vordere Linsenelement herausdrehen. Wiederum im Gegensatz zum grünen Agfa-Papp ist das Fett des Gewindes nicht völlig verhärtet, sondern es bewegt sich noch geschmeidig mit gutem Widerstand. Diesmal habe ich beim Herausschrauben eine Markierung der Unendlichstellung angebracht, um die Vorderlinse wieder in genau gleicher Position hineinzuschrauben. Eine Fokusjustierung war somit nicht nötig. Die rückwärtige Linse ließ sich ebenso einfach abschrauben. Nur die mittlere Linse habe ich wieder mal nicht herausbekommen und deshalb von hinten durch den geöffneten Verschluss gereinigt. Dazu habe ich wie immer Isopropanol und jede Menge Wattestäbchen benutzt. Dabei peinlich aufpassen, dass man das Gewindefett nicht auf die Linsen bringt. War aber kein Problem. Die Reinigung war in eine halben Stunde erledigt, das Objektiv ist wieder glasklar ohne eine Macke. Der Falter ist technisch wieder in einem neuwertigen Zustand.

Wie schlägt sie sich jetzt beim fotografieren? Vom dem einfachen Dreilinser habe ich nicht viel erwartet, und in der Tat gibt es erhebliche Unschärfe in den Bildecken, auch abgeblendet. Dafür ist der größte Teil der Bildmitte ordentlich scharf und kontrastreich, auch schon bei Blende 8. Weiteres Abblenden bringt nicht mehr viel, auch nicht beim Kontrast. Blende 8 oder 11 scheinen mir optimal, 16 und 22 wohl kein Problem. Große Panoramen oder Architektur sind also nicht gerade ihre Paradedisziplin, wenn auch meilenweit entfernt vom "Nebulösen" wie bei Holga und Co. Vignettierung kann ich weder auf- noch abgeblendet erkennen. Für Portraits und Aufnahmen im Bereich von 1 - 5 Meter scheint sie mir prädestiniert zu sein. Beim nächsten Portrait-Shooting wird sie auf jeden Fall zum Einsatz kommen. Ein sinnvolles Zubehör bei meinem ersten Testfilm war der Voigtländer Entfernungsmesser. Er lässt sich von außen ohne Werkzeug durch Drehen des inneren Knopfes auf dem Einstellrad justieren. Einfach und praktisch. Das versenkt eingebaute Objektiv scheint nicht sehr streulichtempfindlich zu sein, allerdings habe ich noch nicht direkt in eine Lichtquelle hineingeknipst. Vordere und hintere Linse sind beidseitig vergütet. Farbe sollte ohne Einschränkungen machbar sein.

Die Golf wiegt nackig 480 Gramm und ist sehr kompakt. Man kann sie immer dabeihaben, aber die Objektivleistung ist nicht für alle Motive geeignet. Leider gibt es sie nicht mit einem 4-Linser ala Tessar, und nicht mit besserem Verschluss. Die Variante mit dem guten 3-linsigen Steinheil Cassar ist ziemlich selten und deutlich teurer. So, wie ich sie habe, ist sie nach heutigen Maßstäben nicht "everybodies darling", vermag aber in bestimmten Bereichen außerordentliches zu leisten. Ein typischer 50er-Jahre-Falter für den kleinen Mann. Und einer, der auch wirklich funktioniert. Solange sie optisch unbeschädigt sind (z.B. keine eingedrückten Balgen oder Sturzschäden), sollten sie alle noch funktionieren.

Mehr zur Aufnahmetechnik hier: der kalte Hauch des Todes ....

Der unermüdliche Alf Sigaro bei Flickr macht so schöne Bilder von alten Kameras, deshalb verweise ich hier darauf:
http://www.flickr.com/photos/alf_sigaro/446212502/

LG Reinhold

Angefügte Bilder:
flickr-03.jpg
flickr-04.jpg

zuletzt bearbeitet 05.01.2010 06:33 | nach oben springen

#2

RE: Adox Golf Klappkamera 6x6

in Erfahrungsberichte 08.01.2010 15:41
von phosphor • Mitglied | 1.232 Beiträge

Das ist ja beinahe die(meine) Agfa Isolette II,auch mit ausklappbarem Film-einleger.
Gruß
phosphor


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Die logarithmische Dichte eines Films
ist der dekadische Logarithmus
des reziproken Wertes des Transmissionsgrades
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zuletzt bearbeitet 08.01.2010 15:41 | nach oben springen

#3

RE: Adox Golf Klappkamera 6x6

in Erfahrungsberichte 29.04.2016 21:35
von Michael Spengler • Mitglied | 2 Beiträge

Man muss aber auch berücksichtigen, dass es eine ganze Reihe verschiedener ADOX Golf 6x6 gibt. Die hier beschriebene Golf mit VARIO-Verschluss ist tatsächlich die einfachste Version, die von ADOX als Volkskamera auf der Photokina 1954 vorgestellt wurde. Die ADOX Golf-Modelle mit Cassar von Steinheil, die ab 1952 produziert wurden waren von sehr viel besserer Qualität und die Fotos die man mit ihnen machen konnte ebenfalls. Aber die Randunschärfe und die Vignettierung durch die Adoxare von Will kann man ja heute auch durchaus mögen.

Ich habe einen umfangreichen Artikel zum Thema ADOX Golf verfasst und noch zwei weitere die ebenfalls die ADOX Golf betreffen. Zu finden hier

Die ADOX Golf – neu betrachtet


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#4

RE: Adox Golf Klappkamera 6x6

in Erfahrungsberichte 29.04.2016 21:45
von DD_Ihagee • Moderator | 3.013 Beiträge

Schöne Seite!

VG
Holger


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