Pentacon Six - die Grande Dame aus Dresden
in Erfahrungsberichte 19.04.2014 00:15von DD_Ihagee • Moderator | 3.013 Beiträge
...und wie das bei großen Damen machmal so ist – sie kann auch zickig sein.
Hallo Fotoforum!
Noch ein Bericht zur Six?
Ist zu der nicht schon genug geschrieben worden?
Schwer zu sagen; das könnt ihr nach dem lesen beurteilen.
Gerade zu dieser Kamera hört und liest man Hohelieder oder Schmähgesänge.
Mein Anliegen ist, eigene Erfahrungen mit denen Anderer zu verbinden und ein kleines "Rundumpaket" zu schnüren.
Wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er auf's Eis.
So irgendwie könnte würde ich selber den Kauf meiner Six beschreiben.
Man liest ja so einiges.
Vielfach eben nichts gutes.
Verschlußprobleme, fehlerhafter Bildschritt, ungenügende Planlage des Films etc. pp.
Und natürlich, es betraf auch mein Exemplar.
Der Verschluß blieb bei der 1/125 Sekunde offen, zum Rest auszuprobieren kam ich gar nicht; da war mir der Film zu schade.
Allerdings hatte ich beim Kaufpreis schon die Reparatur eingerechnet.
Somit ging die nächste Reise der Kamera nach Görlitz zu Olbrich.
Wie groß war die Freude als sie wiederkam und wie groß die Enttäuschung, als beim ersten Film der Verschluß wieder offen geblieben war; diesmal aber etwas anders.
Ein Vorhangband war gerissen.
Wieder ging ein Paket gen Osten.
Anstands- und kostenlos wurde der Fehler behoben - tolle Werkstatt!
Der Verschluß funktioniert wie er soll (auch wenn es kühler ist), der Bildschritt ist, wenn auch nicht ganz gleichmäßig so doch akzeptabel und ohne Überlappungen, auch über die Planlage des Films kann ich nicht meckern.
Nun konnte das "Erlebnis Mittelformat mit Wechselobjektiven" also beginnen...
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RE: Pentacon Six - die Grande Dame aus Dresden
in Erfahrungsberichte 19.04.2014 00:19von DD_Ihagee • Moderator | 3.013 Beiträge
Zur Geschichte:
Vorgestellt 1956 auf der Photokina, erschien mit der Praktisix eine 6x6 Kamera, welche die Vorzüge einer einäugigen Kleinbild-Spegelreflexkamera mit dem Mittelformat verband.
Zu jener Zeit gab es außer Hasselblad keinen Hersteller, der eine System-Mittelformatkamera im Angebot hatte.
In diese Bresche sprangen die Kamerawerke Niedersedlitz mit der Praktisix.
Schaut man sich die "Meister Korelle" an, so weiß man wo die Wurzeln der Praktisix liegen.
Dem Konstrukteur Siegfried Böhm war es nun unter unverständlich schwierigen Zwängen in die Hände gelegt aus dieser Grundidee eine produzierbare, moderne Systemkamera welche wie eine Kleinbildkamera bedienbar ist zu kreieren.
Sein Können hatte Böhm schon mit der Entwicklung der Praktica und der völlig neuen Praktina unter Beweis gestellt.
Heraus kam nun also eine Kamera, welche ihre Herkunft weder leugnen konnte noch wollte.
Analog zur Praktina bekam auch sie ein Klemmbajonett, Wechselsucher, eine Druckblendenauslösung und auch die Rückwandverriegelung kommt dem Praktinanutzer sehr bekannt vor.
Nach der Modellpflege von Praktisix II und IIA mit nicht sehr wesentlichen Änderungen kam 1966 die Pentacon Six zur Vorstellung.
Mittels einer Meßwalze wurde nun der Bildschritt besser kontrolliert, jetzt konnte 220er Film verwendet werden und bei Benutzung des 120er Films wurde der Transport nach dem 12.Bild gestoppt und erst durch Betätigung eines kleinen Arretierhebels wieder freigegeben.
Das Bildzählwerk stellte sich auch von nun an beim Öffnen der Rückwand selbsttätig zurück.
1969 kam das TTL-Prisma als Zubehör auf den Markt und damit war die Pentacon Six TL geboren - seitdem änderte sich bis 1989 nichts mehr an der Kamera.
Die Konkurrenz hatte zwischenzeitlich lange aufgeholt und die Pentacon Six war gnadenlos veraltet.
Qualitätsprobleme kamen auch noch hinzu; im Film "Spurensuche in Ruinen VEB Pentacon" gibt es da eine Passage mit einem Dresdner Mitarbeiter, als ihm bei einem Fotoeinsatz die Kamera zerbröselte.
Leider wirft sowas kein gutes Licht auf den Betrieb.
Nicht unerwähnt sollte der Weltraumeinsatz der Pentacon Six bleiben; Siegmund Jähn nutzte sie bei seiner Allmission 1978 für das Experiment "Biosphäre".
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RE: Pentacon Six - die Grande Dame aus Dresden
in Erfahrungsberichte 19.04.2014 00:26von DD_Ihagee • Moderator | 3.013 Beiträge
Zur Technik:
Typisch für Dresdner Kameras der 50er werkelt im Inneren der Kamera ein Tuchschlitzverschluß mit den Zeiten "B" bis immerhin zur 1/1000 Sekunde.
Die Synchronzeit zum blitzen ist eine vergleichsweise langsame 1/20 Sekunde.
Der Spiegel ist nicht als Rückkehrspiegel konzipiert, das änderte sich bis zum Schluß nicht.
Die Auflage am Stativgewinde ist für eine Kamera dieser Größe arg klein!
Einen Motor bzw. Winder gibt es nicht, ebenso keine gekuppelte TTL-Messung.
Ein Wechselmagazin wurde nicht vorgesehen.
Für den Filmtransport (incl. Verschlußspannung, Spiegelpositionierung und Druckblendenaktivierung) ist immerhin ein Schnellspannhebel vorhanden welcher allerdings einen ziemlich langen Spannweg hat und äußerst pfleglich behandelt werden sollte; kein Verkanten nach oben oder unten und kein Zurückschnippen - der Bildschritt wird es danken!
Sucherseitig hat die Six so einige Möglichkeiten.
Zum einen stehen der klassische Lichtschacht, ein Lupensucher, ein Prisma und das erwähnte TTL-Prisma zur Verfügung. An die Prismen sind die Prakticazubehörteile wie Winkelsucher, Blitzwinkel oder Augenmuschel anschließbar.
Zum anderen lassen sich auch die Bildfeldlinsen austauschen, hier allerdings nicht werkzeuglos.
Sieben Einstellscheiben standen zur Verfügung.
Ich selber besitze momentan nur die Fresnellinse mit Mikroraster.
Alternativ lassen sich auch die Scheiben der Rollei 6008 oder die von Rick Oleson einbauen. Beachtungshinweise (Form der Glas- und Form der Plastelinsen!) gibt es hier.
An einen Selbstauslöser hatte der Konstrukteur ebenso gedacht wie an eine Auslösesperre; natürlich kann man auch einen Drahtauslöser anschließen.
Genannte Ausrüstungsmerkmale kann man also durchaus als ordentlich einschätzen.
Zu den Prismen ist noch folgendes zu sagen: im Sucher bleiben von den 56x56mm Aufnahmeformat nur 51x51mm (beim Lichtschacht) übrig; bei den Prismen wird es noch ein Stück weniger.
Also immer noch ein Stückchen um das im Sucher sichtbare Bild "hinzudenken".
Objektivseitig hat man auszugsverlängernd Zwischenringe oder ein Balgengerät zur Verfügung.
Und weil wir gerade bei dieser Öffnung sind; im Spiegelkasten sieht man ein kleines Hebelchen welches sich auch wegklappen läßt. Mit diesem wird die Druckblende der Objektive betätigt. Es sollte halbwegs genau eingestellt sein sonst hakelt es gern mal mit den Blendenstiften der Objektive. Fehlerbild: Kamera läßt sich nicht spannen obwohl sonst alles I.O. Ist und auslösen läßt sie sich auch nicht.
Jetzt keine Panik; Bajonettring lösen, das Objektiv abnehmen und dem verdorbenen Bild (nun löst sie nämlich aus) nicht hinterhertrauern.
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RE: Pentacon Six - die Grande Dame aus Dresden
in Erfahrungsberichte 19.04.2014 00:30von DD_Ihagee • Moderator | 3.013 Beiträge
Zu einigen Objektiven:
Die Optiken - ganz klar ein Kaufargument für die Six.
Per Adapter lassen sie sich auch an anderen Kameras verwenden, ja sicher.
Aber auch und vor allem an der Kamera, für welche sie gebaut wurden bestechen sie mit Schärfe, Brillanz und einem charaktervollen Bokeh.
Als Standardobjektiv gilt das 80er Biometar (analog zum 50er in Kleinbild, nachfolgend nur noch die Äquivalente in Klammern), als Weitwinkelobjektiv das 50er Flektogon (ca.30), als leichtes Teleobjektiv das 120er Biometar (75) und mittleres Teleobjektiv das 180er Sonnar (ca.120).
Weiterhin sind noch ein 300er und 500er und ganz selten ein 1000er Teleobjektiv erhältlich. Für mich selber uninteressant, mir reicht die Kombination Six mit 180er schon allein gewichtsmäßig völlig aus.
Die Objektive der sowjetischen Kiev 60 können auch an der Six verwendet werden, ebenso die der Exakta 66.
Da die Frontlinsen der Objektive zur Six doch ziemlich groß sind, ist die Verwendung von Streulichblenden eigentlich unerlässlich. Leider mußte ich feststellen, daß beim Flektogon sich trotz Verwendung der Originalblende eine Vignettierung in den Ecken einstellte.
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RE: Pentacon Six - die Grande Dame aus Dresden
in Erfahrungsberichte 19.04.2014 00:35von DD_Ihagee • Moderator | 3.013 Beiträge
Fazit:
Zu ihrer Entstehungszeit war die Praktisix/Pentacon Six sicherlich ein Meilenstein.
Durch den Entwicklungsstillstand geriet sie mehr und mehr ins Hintertreffen; andere Hersteller plazierten ihre Produkte in ausgereifter Form am Markt.
Jedoch besticht die Pentacon Six auch heute noch in den Punkten Handlichkeit, Gewicht, exzellenten Optiken und natürlich dem Preis.
Eine besondere Wertschätzung gerade im Westen des Landes erfuhr sie nicht; war die Six doch immer das Billigteil aus dem Osten.
Ungewartet wird keine Six heute mehr richtig funktionieren; die verwendeten Schmierstoffe sind zu einer festen Pampe mutiert, somit stimmen weder die Zeiten noch die Verschlußfunktion. Gerade bei der 1/125 Sekunde bleibt der Verschluß sehr gern einen Spalt weit offen.
Unter 5ºC wird der Verschluß ebenfalls unwillig.
Speziell bei der 1/1000 Sekunde neigt der Verschluß zum Banding; dem kann man außer, daß man die Kamera sozusagen im "Hochformat" hält nicht entgehen. Der Streifen wird horizontal als weniger störend empfunden.
Nun aber zur entscheidenden Frage: kann man die Six empfehlen?
Konstruktiv gibt es ein paar Macken welche nicht abstellbar sind.
Eine regelmäßige Wartung ist unumgänglich.
Laut der Görlitzer Werkstatt wird es nun so langsam mit einigen Ersatzteilen eng.
Nachdem die Zeit der Falt- bzw. Klappkameras abgelaufen war hatte sich das Mittelformat zur Profiliga gemausert.
Ausgerechnet in diesem Segment, welches mit der Praktisix mit begründet wurde spielte die Pentacon Six (außer im Inland) keine herausragende Rolle mehr.
Somit ist auch ein Vergleich mit den mittlerweile etablierten Platzhirschen wie Rollei, Pentax, Hasselblad etc. nicht wirklich sinnvoll.
Wie vor vierzig Jahren (außer im Land wo sie herkam) so auch heute lockt der vergleichsweise günstige Preis.
Und für den bekommt man eine mechanische Mittelformatkamera mit beherrschbaren Macken - nicht mehr aber auch nicht weniger.
Die Frage "Kaufempfehlung" steht immer noch im Raum:
Ja!
Allen Umsteigern von Kleinbild sei allerdings gesagt: gewichtsmäßig ist man in einer anderen Liga unterwegs! Einfach alles ist größer und schwerer. Stative, welche eine Kleinbildkamera klaglos trugen kommen hier an ihre Grenzen. Zumal die Six serienmäßig keine Spiegelvorauslösung hat, Spiegel und Verschlußrollos dafür aber beträchtliche bewegte Massen.
Übrigens, ein Gurt mit den Originalösen ist durchaus empfehlenswert, allerdings sollte er schon etwas breiter als der zugehörige Lederriemen sein; hier kommt wieder das Gewicht ins Spiel und der Nacken wird es danken.
Das Fotografieren mit der Pentacon Six birgt einen enormen Spaßfaktor; missen möchte ich sie nicht mehr.
So wie mir geht es wohl einigen; die zahlreichen Bilder u.a. auch im Netz sprechen für sich und hunderte (oder gar mehr? ) Anwender können nicht irren...
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RE: Pentacon Six - die Grande Dame aus Dresden
in Erfahrungsberichte 19.04.2014 00:52von DD_Ihagee • Moderator | 3.013 Beiträge
Zum Schluß sei nochmal das strikte Einhalten des in der BDA beschriebenen Filmeinlegens zu erwähnen.
Bei mir funktioniert der Bildschritt, die "Baiermethode" brauchte ich also nicht.
Zu Umbauten gibt es in folgender Linkliste einiges zu lesen, vor allem bei vorgenannten Herrn Baier.
Für die Experimentierfreudigen gibt es nochwas ganz am Ende.
Mittels des Kleinbildsets der Flexaret kann man wunderbar Kleinbildfilm incl. der Perforation belichten. Ein wenig muß man allerdings an der Spule der KB-Patrone schnitzen, sonst bekommt man sie nicht mit dem Zwischenstück in die Kamera.
Hat man ein wenig handwerkliches Geschick oder kennt einen Dreher kann man sich ein neues passendes Zwischenstück anfertigen (lassen). Die Maße sind unten zu finden.
Zurückspulen klappt natürlich nicht; das Zurückschieben des Films in die Patrone muß im Wechselsack oder der Dunkelkammer geschehen.
Was bleibt zum Schluß?
Dem Esel hat der Gang aufs Eis nicht geschadet.
VG
Holger
P.S. Fast hätte ich noch eine Kleinigkeit vergessen: im TTL-Prisma kann Dank Brückenschaltung die ganz normale V625 Zelle verwendet werden.
P.P.S. Auch immer wieder schön zu lesen, daß die Pentacon Six von der Kiev60 abstammen würde. Rein vom Erscheinungszeitpunkt ist die nicht möglich; und somit diese Aussage aus dem Reich der Legenden.
Bedienanleitungen:
Kurzanleitung Link ist tot
Pentacon Six Anleitung
TTL-Prisma Link ist tot
Wissenswertes; Pro und Kontra zur Six im Netz:
Dresdner Kameras
Baier - Probleme
Baier - Beratung
Kwerfeldein
Hobbyphoto Forum
Dorenbeck
lueddecke
Spiegel
Spurensuche...
orig-magazin
zgraja
Pentaconsix.com
DSLR-Forum
Bastelecke:
DCC
DCC2
Japantrip
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RE: Pentacon Six - die Grande Dame aus Dresden
in Erfahrungsberichte 19.04.2014 01:06von BEEKE • Mitglied | 135 Beiträge
ZU nr.1-5
SUPER geschrieben !
ES fehlte :
Was hast Du bei OLBRICH bezahlt ?
Warum hast Du bei der OBJEKTIVVORSTELLUNG nicht das ,Flectogon 2,8-65mm miterwehnt ?
Ist zwar für die spätere PRAKTISIX entwickelt (bzw , PRAKTISIX II)
Dieses Objektiv wurde von --VIELE-- als Normalabjektiv benutzt !
Sonst hast DU diese Berichte sehr super gestaltet und ausgeführt ! Ein Lob von mir !
grüß v.Hans-Joachim
RE: Pentacon Six - die Grande Dame aus Dresden
in Erfahrungsberichte 19.04.2014 01:15von BEEKE • Mitglied | 135 Beiträge
zu nr.6 Holger
Hast Du dir die KB-Einrichtung etwas von der FLEXARETT abgeschaut ?
Somit hast du jetzt """"PANORAMA"""" Fotos !
Da mußt du nur noch das 30mm Objektiv aus USSR vorsetzen -- perfekt !
Aber , IHR mußt zugeben ,die KIEV 60 , hat auch was fürsich ,? oder nicht ?
Auch DEINES ist Superverfasst !
mfrgr. Hans-Joachim
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