Hallo, liebe Freunde frugaler Kameras,
lange habe ich es angedroht, nun kommt mein Erfahrungsbericht über die in unserem Haushalt vorhandenen Beiretten, zwei „richtige“ und eine „lustige“. Unter dem Namen gab es ab den 1970ern noch weitere Modelle, diese waren jedoch für die Verwendung mit SL-Kassetten konstruiert. Da man sich dafür inzwischen seine Filme selbst konfektionieren muß, gehe ich auf diese Modelle nicht ein, zumal ich auch keine von der Sorte habe. Diese Kameras hier schlucken jedenfalls alle normalen 135er Kleinbildfilm.
Wie ich bereits angedeutet habe, kommen die Beiretten in unserem Haushalt regelmäßig zum Einsatz – nicht ohne Grund.
Die Beirette war die Volkskamera – und zwar nicht nur in der DDR, auch nach Großbritannien oder gar Australien, wenn ich mich recht erinnere, wurde sie in großen Stückzahlen unter unterschiedlichen Handelsnamen geliefert. Und zum geschätzten Schnellfotografieren (großer Sucher, die Schärfentiefeskala ist immer gut einzusehen, bei der vsn helfen Wettersymbole beim Belichten) ist sie auch heute noch keine schlechte Wahl. Und sie ist die einzige Kamera (außer einer Vorkriegsbox), die ich auseinandergebaut und auch wieder zusammengesetzt bekommen habe. Die haben wirklich nicht ein Teil zu viel verbaut. Die hier abgebildete Beirette vsn ist ein Bastard aus einer vsn von 1987 und einer vsn2 von 1990. Die beiden Modelle sind im Grunde baugleich, die einzige Neuerung der vsn2 scheint es zu sein, daß man die Alu-Kappe und den Alu-Boden durch Plastik ersetzt hat – aber was für welches! Ungefähr das Material von Filmdöschen, nur dünner. Ich übertreibe keineswegs. Daß sich da der plastene Schnellspannhebel bei der vsn2 meiner Tochter nicht vernünftig festziehen ließ, verwundert mich nicht. Wie Hebel außen und Greifer innen miteinander verbunden sind, muß man gesehen haben, schlimm. Als ehemaliger Trabantfahrer weiß ich, daß die Trabis ab ca. 1988 immer schlechter verarbeitet waren und daß alles, was nach der Wende aus den maroden Werksanlagen kam, eine mittlere Katastrophe darstellt. Die besten Trabis waren die von Ende der 50er bis Anfang der 70er Jahre. So ähnlich scheint es auch bei der Beirette zu sein.
Da eine vsn in meinem Bestand ohnehin schon in der Bastelecke lag (fast gelungene Verschlußreparatur, nicht mehr fokussiert gekriegt und weggelegt) , habe ich dann der vsn2 deren Alu-Kappe mit dem besseren Hebelmechanismus spendiert. Jetzt transportiert sie einwandfrei, nur geht leider die Blitzsynchronisation nicht mehr, da die auch schon bei der Spenderkamera es nicht tat. Die Kontakte sehen zwar gleich aus, aber was weiß ich. Meine Tochter (für die ich das gemacht habe, die vsn2 war sozusagen das Upgrade von ihrer k100) meckerte aber nicht – denn was ist wichtiger, Filmtransport oder Blitzen? Mein Killerargument. Nur: Konnte man nach dem Lösen zweier seitlicher Schrauben die obere Kappe der Alu-Modelle einfach abziehen, geht das bei der Plaste-Ausführung nicht mehr, der Ring um die Rückspulkurbel ist zu eng dafür. Also mußte ich den schwarzen Deckel der vsn2 an der Ecke zerschneiden (mit einer Kinderbastelschere, echt!), um ihn gegen den aus Alu auszutauschen. Mann, Mann, Mann, von der Idee und genial-simplen Konstruktion ist das so eine nette Kleinkamera, ergonomisch, hübsch, sogar das Meritar taugt recht gut. Mußten die das dann mit derart miesen Materialien wieder versauen? Trotzdem ist sie wohl eine der häufigsten DDR-Kameras und dran basteln ist eigentlich Quatsch, da so ein Ding 1 Euro plus Versand kostet und es 2 Millionen davon gab.
Kommen wir lieber zu einem Produkt aus der guten alten Zeit, dem ersten Beirette-Modell, bzw. dem anderthalbten, da es noch ein 1958er Modell mit anderem Auslöser gab. Verbaut sind hier ein Meyer Trioplan und der tolle, weiche Junior II-Verschluß, die habe ich beide auch in meiner Welta Weltax. Dieses Modell wurde später auch mit Domiplan- und Meritar-Objektiven sowie ab 1964 dem Priomat-Verschluß gebaut, bis zur Ablösung durch das bereits vorgestellte Plastikmodell war sie ein Dauerseller. Von der Haptik her ist sie eine Leica des kleinen Mannes, eine tolle kleine Kamera mit gutem Sucher. Mein Favorit, ganz klar.
Fotopraxis:
Eine Beirette ist jedenfalls immer eine tolle Immer-Dabei-Kamera. Sie ist leicht, liegt hervorragend in der Hand, hat einen sehr guten Sucher, drei Zeiten (125/60/30) plus B, Blitzsynchronisation auf allen Zeiten und ein hinreichend lichtstarkes, ordentliches Dreilinser-Objektiv, das über eine sehr gut einsehbare Tiefenschärfe-Skala blitzschnell eingestellt werden kann. Für Street und Schnappschüsse ideal und spottbillig zu haben. Wind und Wetter tun ihr nichts. Als Beirette 35 gab es sie zum Schluß gar mit CDS-Belichtungsmessung, aber leider auch im Vollplastik-Finish, was weig Gutes befürchten läßt. Ein Modell mit Meßsucher gab es aber nie.
Ich nutze fast immer die 1/125s und bediene nur die Blende, die Entfernung läßt sich mit der übersichtlichen Schäfentiefeskala gut abschätzen. Dadurch bin ich sehr schnell schußbereit. Am besten geht es mit einem 200er oder 400er-Film, dann kann man draußen meist im Blendenbereich von 11 bis 22 bleiben (wo man sich in der Entfernung dann kaum noch verschätzen und das Objektiv fast immer auf einem Standardwert lassen lassen kann) und hat trotzdem für Drinnen noch Spielraum, um zur Not was ohne Blitz aus der Hand zu machen, z.B. habe ich mal auf einer Veranstaltung, wo die mitgebrachte Billig-Digiknipse der Kollegin versagte, ohne Blitz gelungene Aufnahmen auf RPX400 mit Offenblende und 1/30s machen können. Bei der Ur-Beirette kann man die auch halten, die Plastikmodelle sind leichter und der Verschluß geht leider nicht so geschmeidig.
Die Beirette k100 hingegen sieht zwar so aus wie die vsn, ist aber eher eine Art DDR-Holga und daher vielleicht ein Tip für die Diana-Mini-Zielgruppe. Wahrscheinlich sollte sie die Lücke füllen, die das Dahinscheiden der Pouva Start hinterlassen hatte. Im Nahbereich macht unsere gar nicht mal schlechte Bilder (besonders mit Blitz), etwas weiter entfernt wird's dann aber zunehmend unschärfer – und sie vignettiert etwas.
Technische Daten der vorgestellten Kameras:
Beier Beirette (1959):
- Objektiv: Meyer Trioplan 45mm, Blenden 3,5 bis 22 (stufenlos), Nahgrenze 1m, Schärfentiefeskala, 32mm Steckfilter
- Verschluß: Junior II, Zeiten B, 1/30, 1/60, 1/125s, Schnellspannhebel
- Sucher: Großer Sucher mit Parallaxeneinstellung am hinteren Einblick
- Blitzsynchronisation: alle Zeiten, Anschluß über PC-Buchse
- Bildzählwerk: manuell zurückzustellen
Beirette vsn/vsn2 (ab 1974):
- Objektiv: Meritar 45mm, Blenden 2,9 bis 22 (rasten ein), zusätzlich Wettersymbole zur Orientierung, Nahgrenze 60cm, Schärfentiefeskala, 32mm Steckfilter
- Verschluß: Priomat, Zeiten B, 1/30, 1/60, 1/125s, Schnellspannhebel
- Sucher: Großer Sucher mit Leuchtrahmen und Parallaxmarkierung, vorne verspiegelt für Selbstportraits
- Blitzsynchronisation: alle Zeiten, Hot Shoe
- Bildzählwerk selbstzurückstellend
Beirette k100 (ab 1977):
- Objektiv: Chromar (Meniskuslinse?) 1:11/52mm, nicht abblendbar, stufenlos zur Fokussierung raus- und reindrehbar, drei bezeichnete Bereiche: 1-3, 3-8 und 8-unendlich
- Verschluß: Einfachverschluß, Zeiten: B, „Wolke“ und „Sonne“ (1/30 und 1/60s?), Schnellspannhebel
- Sucher: Großer Sucher ohne Leuchtrahmen oder Verspiegelung
- Blitzsynchonisation: alle Zeiten, Hot Shoe
- Bildzählwerk selbstzurückstellend
Plus- und Minuspunkte auf einen Blick:
+ sehr gute Verarbeitung, Mechanik und Gehäusequalität (Beirette)
+ sanfter Auslöser (Beirette)
+ ordentliches Objektiv (Beirette, vsn)
+ lomografisches Objektiv (k100)
+ gut ablesbare Schärfentiefeskala (Beirette, vsn)
+ handlich und ergonomisch (alle)
+ guter Sucher, auch für Brillenträger (alle)
+ schnell schußbereit (alle)
+ relativ klein und leicht (Beirette)
+ relativ klein und sehr leicht (vsn, k100)
+ gängiges Filter-/Streulichtblendenmaß (Beirette, vsn)
+ Blitzsynchronisation (alle)
+ einfacher Aufbau (besonders vsn und k100)
+ günstige (Beirette) bis sehr günstige (vsn, k100) Anschaffungspreise
- keine schnellen Zeiten (alle)
- etwas windige Verarbeitung, Mechanik und Gehäusequalität (vsn und k100 mit Alukappen)
- entsetzliche Verarbeitung, Mechanik und Gehäusequalität (vsn2 Vollplastik)
- leichte Neigung zum Verwackeln (vsn, k100)
- lomografisches Objektiv (k100)
Mehr im Netz:
http://www.beier-kamera.de/
http://lippisches-kameramuseum.de/Beier.htm
Viele Grüße
Nils
Bilder: Beirette, dann der vsn/vsn2-Zwitter und die k100, erst ganz, dann en Detail.
Beispielfotos:
(Ur-) Beiretten-Bilder habe ich hier schon häufiger veröffentlicht, z.B. hier: Eingewachsen und hier: Heute mal wieder kopflos unterwegs?
Das sind zwei Hübsche mit der k100, aufgenommen von meiner Tochter, kurz bevor sie vier wurde: Schloss Linderhof (2)
Anhänge: Hier noch eins meiner im Text oben angesprochenen available light-Veranstaltungsbilder mit Offenblende und 1/30s und zu guter Letzt noch zwei mit dem vsn-Bastard, Scans vom 1ct-Abzug.
Viele Grüße
Nils
RE: Anmerkungen zur Beirette
in Erfahrungsberichte 22.11.2011 10:45von geleemes • Mitglied | 195 Beiträge
Die Fotos sind doch für 1€-Kamera super. Das beste, was man für das Geld bekommt und dann schön leicht.
Sag mal, hast du auch schon die Beirette 35 getestet. Einen Film habe ich mit meiner durch. Das tolle, finde ich, das der Belichtungsmesser auch bis ISO 25 geht und neben dem Belichtungsmesser auch es eine B-Zeit gibt.
Die 35 fehlt mir noch – Du hast die also? Ist sie vielleicht doch nicht so schlimm klapprig wie die letzten vsn2?
Dann brauche ich die wohl auch noch, ein eingebauter Beli ist schließlich nicht zu verachten.
Viele Grüße
Nils
RE: Anmerkungen zur Beirette
in Erfahrungsberichte 22.11.2011 11:07von geleemes • Mitglied | 195 Beiträge
Zitat von clickclackstart
Die 35 fehlt mir noch – Du hast die also? Ist sie vielleicht doch nicht so schlimm klapprig wie die letzten vsn2?
Dann brauche ich die nämlich wohl auch.
Viele Grüße
Nils
Die Kamera wirkt so schön nachgebaut, als wäre sie aus China. Die Kamera ist etwas besser, es wirkt, als hätte man gelernt dickeres Plastik zu verwenden. An der Filmkurbel wurde aber leider nichts verändert. Sie erinnert mich an eine Holga. Die Rückwand ist labil. Selbst dort hat man kein Metall benutzt. Die Modelle, wo Carl Zeiss darauf seht sollen besser seien. Der Belichtungsmesser ist aber noch exakt.
RE: Anmerkungen zur Beirette
in Erfahrungsberichte 22.11.2011 12:03von Dirk • Mitglied | 388 Beiträge
Ich hab die Beroquick 125 SL, die Beirette K mit dem Priomat-Verschluss(meine Pentona 2 hat den gleichen Verschluss)und 2,9 Meritar Ojektiv, angeregt und gekauft durch einen Bericht auf einer engl.Website/Fotoblog.
Der Betreiber des Blogs beschreibt diese Beirette als unterschätzte Kamera, ja und das ist sie auch, für meine pers. Ansprüche.
Nun...
Meine erste Beirette war die Beirette SL100 mit SL-Kassette für das Ferienlager.
Die VSN hab ich ich auch, diese klappert auch, im Inneren ist auch ein Teil lose, Bilder macht Sie auch, immer irgendwie leicht verschwommen, Zentrumsschärfe ist aber vorhanden.
Störend finde ich den Auslöse-Ich hab viel Kraft im Finger-Runterdrück-Knopf, der ist mir zu schwergängig für die Leichtigkeit der Kamera.
Schnappschußbereit knipse ich mit den Kameras bei Blende 8 und 3 m Entfernung bei 1/125sec.
Nils, die K100 wird wohl auf dem nächsten Trödel gesucht und gekauft werden,...beim Kauf die Kamera öffnen, Rädchen für Filmtransport nach rechts drehen und auslösen, falls man das nicht macht könnte man vermuten der Verschluss sei kaputt, zur Info.
Bild folgt morgen.
Video:
http://www.youtube.com/watch?v=qeNfsvUBZgI
Viele Grüße
Dirk
"I had 4 biscuits and then I ate one. Then I only had 3!"
Bei der vsn kommt es offenbar sehr darauf an, was für ein Exemplar man erwischt.
Leuten, die beim Thema Qualität und Haptik auch nur gewisse Ansprüche stellen, seien hiermit ausdrücklich auf die alten Modelle verwiesen, qualitativ ist das eine völlig andere Welt und sie ist damit eine wirklich ernsthafte Kamera.
Zitat von Dirk
beim Kauf die Kamera öffnen, Rädchen für Filmtransport nach rechts drehen und auslösen, falls man das nicht macht könnte man vermuten der Verschluss sei kaputt, zur Info.
Verdammt, ich hatte im Bauch, etwas Wesentliches vergessen zu haben. Das hat mir auch anfangs einen Streich gespielt.
Viele Grüße
Nils
RE: Anmerkungen zur Beirette
in Erfahrungsberichte 23.11.2011 02:24von Dirk • Mitglied | 388 Beiträge
Nun ich hatte meine Beirette VSN persönlich abgeholt, hier in meiner Stadt(Leipzig), da hatts schon geklappert. Das schönste sind aber immer die Verkaufsgespräche-, bei Nostalgie-Kameras dauert es lange bis zum Abschied, mit der Versicherung (von meiner Seite)das ich auf die Kamera aufpasse und diese ordentlich behandle.
VG
Dirk
"I had 4 biscuits and then I ate one. Then I only had 3!"
Ach, sollen die vsn, k100 und 35 doch etwas klappern, es gibt Schlimmeres. Immerhin hat man auch hier volle kreative Kontrolle. Und klar, wenn man so eine Kamera seit der Jugendzeit hatte, hängt man auch daran.
Das Bild Deiner Beroquick finde ich hochinteressant, man kann hier sehr schön die Zwischenschritte der Entwicklung sehen: Matt statt Chrom, nüchternerer Schriftzug, schon ein verspiegelter Sucher (auch mit Leuchtrahmen?), die Objektiveinfassung sieht schon aus wie bei den frühen vsn. Was ist das für eine Leiste mit roten Zahlen unter dem Objektiv?
Sie dürfte aus der Zeit ab Mitte der 60er Jahre sein, oder?
Viele Grüße
Nils
RE: Anmerkungen zur Beirette
in Erfahrungsberichte 24.11.2011 00:40von Dirk • Mitglied | 388 Beiträge
Ja,ist mit Leuchtrahmen, ist aber schon sehr matt.
Nun zur Leiste, diese lässt sich verschieben, zum Einstellen der Blende oberhalb, unten ist auf dem Verschluss nochmals eine Blendenreihe von 8,11,16-bis 64, der Schieber mit den roten Zahlen zeigt Meter an von 1-11 m.
Siehe Bild, das ist der gleiche Verschluss)
http://fotofotki.pl/images/rptgk16lo5o9teowslge.jpg
Ab 1964 gebaut, es gab sie auch als Revue N.
VG
Dirk
"I had 4 biscuits and then I ate one. Then I only had 3!"
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