Hallo,
kurz hatte ich sie hier ja bereits angesprochen, bin aber der Meinung, daß dieses niedliche kleine Teil eine längere Beschreibung verdient.
Nachdem die größeren Box-Tengor-Modelle, welche aus der Erbmasse der Firma Goerz in den neu zusammengeschlossenen Zeiss Ikon-Konzern gelangt waren, sich recht gut verkauften, kamen die Strategen des Hauses 1929 auf die Idee, ein noch günstigeres Einsteigermodell für Kinder und Jugendliche auf den Markt zu bringen. Wohlgemerkt geschah dies noch vor der Agfa-Preisbox-Aktion und der anschließenden Preisschlacht von Agfa und Balda. Dementsprechend reserviert reagierte der Fachhandel auf die Neuerscheinung. Nur 11 Mark sollte das kleine Teil kosten, da bleibe ja kaum eine Marge übrig... Zeiss Ikon argumentierte hingegen, daß diese günstige Schülerkamera „die heutige Jugend zu guten Photoverbrauchern“ erziehe. Der verführerisch geringe Filmverbrauch tue sein übriges und sorge für steigende Umsätze der Fotogeschäfte. Das Format 3x4 holte aus einem 127er Film, der ansonsten acht Aufnahmen lieferte, doppelt soviele Aufnahmen heraus. Bei 16 Aufnahmen von einem 127er Film zu einer Mark lagen die Kosten pro Negativ bei 6,5 Pfennigen. Wie damals üblich, wurden auch die 3x4-Aufnahmen meistens als Kontaktkopien abgezogen, was ziemlich kleine Bilder ergab – die sich die immer noch nicht überzeugten Fotofachhändler aber fürstlich bezahlen ließen, sie nahmen dieselben 15 Pfennige dafür, wie für einen 6x9-Abzug. Bei den heutigen 127ern kommen beim 3x4-Format übrigens 17 Bilder heraus, wenn im ersten Fenster Stop steht, kann man nämlich noch eins aufnehmen.
Dennoch wurde das zunächst „Klein-Tengor“ genannte Kästlein ein Erfolg, bis 1944 wurde es hergestellt. Ende 1930 kam dann der endgültige Name: „Baby-Box“. Es gab kurz darauf noch ein neues Frontdekor wie bei der großen 6x9, außerdem kam ein Luxusmodell auf den Markt, mit Novar 6,3 in Einstellfassung und drei Blenden. Diese Super-Baby-Box war aber wohl zu teuer, sie lief nur bis Ende 1932 und erzielt heute gepfefferte Sammlerpreise.
Meine ist aber das normale Modell, ein ganz frühes von Anfang 1930, noch ohne Auslöserverriegelung bei eingeschobenem Sucherrahmen. Das Ding ist so niedlich und klein, daß man vom Anblick entzückt ist, sie sieht aus wie eine Miniatur und könnte fast als Schlüsselanhänger durchgehen. Sie bringt kein nennenswertes Gewicht (etwa 220 g) auf die Waage und kam mit einen netten Weichleder-Etui, welches sich schön um die kleine Kamera schmiegt und sie vor äußeren Einflüssen schützt.
Die Ausstattung ist einfach, das von der großen Box-Tengor bekannte zweilinsige Goerz Frontar kann hier nicht abgeblendet werden, es hat die Lichtstärke 11 bei 5 cm Brennweite. Die Zeitenauswahl hingegen ist beliebig groß, allerdings ist keine kürzer als 1/25 s (also, um genau zu sein, gibt es „Moment“ und „Zeit“). Entfernungen einzustellen braucht man auch nicht, das Fixfocus-Objektiv bildet ab knapp 2 Metern scharf ab. Brillantsucher paßten keine mehr ins Gehäuse, die Baby-Box verfügt über einen ausklapp- bzw. -ziehbaren Rahmensucher, der den Ausschnitt gut abgrenzt. Anders als bei 6x9-Boxen ist das Aufnahmeformat in Normalstellung das Quer- und nicht das Hochformat, was eigentlich sehr praxisgerecht ist. Bilder im Hochformat aufzunehmen bedingt dadurch aber eine recht experimentelle Kamerahaltung, wenn man kein Stativ nutzt. Der Rotationsverschluß ohne Doppelbelichtungssperre wird durch ein mehr schlecht als recht bedienbares Hebelchen bedient. Dadurch verreißt man das kleine Teil fast zwangsläufig. Daher ist es ratsam, immer einen Drahtauslöser zu benutzen, der dieses Problem vollständig löst. Da die Rotfenster recht hell sind, ist es ebenso ratsam, sie nicht in die pralle Sonne zu halten, einen „panfilmsicheren“ Abdeckschieber gab es erst ab 1937.
Da 3x4-Kontaktabzüge mir persönlich etwas zu wenig wären, stellt sich die Frage, ob die simple Kinderkamera von einst auch vergrößerungsfähige Negative ergibt. Zeiss Ikon warb mit der Möglichkeit, gelungene Aufnahmen problemlos bis 10x15 cm vergrößern zu lassen. Das stimmt in der Tat! In dieser Größe sind die Ergebnisse bemerkenswert gut. Bei sehr starken Vergrößerungen merkt man natürlich dann schon, daß hier nur eine Box am Werke war – mancher Dreilinser kann aber trotzdem nicht viel mehr. Der Ausschnittsscan des weit entfernten Turms ist unbearbeitet bei 2400 dpi. Film war bei den Bildern ein drei Jahre abgelaufener Maco UCN 200, entwickelt mit dem Tetenal-Kit.
Fazit: Die Baby-Box ist nicht nur niedlich, man kann tatsächlich durchaus schöne Fotos mit ihr aufnehmen. Es macht schon Spaß, sie nur in der Hand zu halten – und anders als eine 6x6 oder 6x9-Box paßt sie in jede Jackentasche. Es gibt also keinen Grund, sie nicht ständig dabeizuhaben (ein Drahtauslöser nimmt ja auch keinen Platz weg). 127er Filme sind zwar sündhaft teuer, werden aber immerhin bestmöglich ausgenutzt – und es ist halt eine Liebhaberei.
Zum Beschreibungsfoto:
1. Filmtransportknebel
2. Rückwandverschluß
3. Umschalter Moment/Zeit (rein = M, raus = Z)
4. Auslösehebel
5. Drahtauslöseranschluß
6. Rahmensucher, hinterer Teil zum Klappen, vorderer zum Ausziehen
nicht abgebildet:
- Stativgewinde linke Seite und unten (kleines Gewinde)
- zwei Rotfenster hinten
Viele Grüße
Nils
PS: Seit meine Tochter die alte Werbeanzeige mit den fotografierenden Kindern kennt, meint sie immer, die Kamera müsse doch zwangsläufig ihre sein...