Der Pappkamerad – Begegnung mit der Agfa-Box B2 Typ 94
in Erfahrungsberichte 22.01.2011 09:12von Gelöschtes Mitglied
Hallo,
ich bekam dieses Wochenende mal wieder eine Box ausgeliehen, die jemand zuhause gefunden hatte, ein herrlich simples Agfa-Modell. Natürlich habe ich auch etwas damit gespielt.
Ein kleiner historischer Exkurs:
Diese sehr einfache, wenn nicht gar primitive Kameragattung ist ein Stück Zeitgeschichte, ab ca. 1930 wurde mit diesen Kästchen das Fotografieren für breitere Bevölkerungsschichten erschwinglich.
Die Firma Agfa hat besonders stark dafür gesorgt, diese, vom Fotofachhandel mißtrauisch bis ablehnend beäugten, Knipskästen in den Markt zu drücken. Jeder, der vier Markstücke mit den Prägebuchstaben A, G, F und A beim teilnehmenden Handel abgab, bekam im Sommer 1932 dafür eine „Preisbox“ – zu einer Zeit, in der man ein solches Gerät sonst nicht unter zehn Mark bekam. Der Erfolg: Am Ende des Jahres waren 900.000 Preisboxen im Umlauf. Um auf den Preis zu kommen, bestanden die Boxen größtenteils aus Pappe und hatten einen Objektivverschluß, der so primitiv war, daß es schon wieder genial ist. Zusätzlich wurden 50.000 blaue Pappboxen an die Klassenbesten des Schuljahres an den Schulen verteilt, die das Wort „Schulprämie“ eingeprägt hatten.
Das Kalkül: Alle diese Leute sind neue Kunden für (Agfa-) Filme und Abzüge. Konkurrent Balda bot als Reaktion das einfachste Modell als Rollbox ebenfalls für 4 RM an, obwohl dieses ganz aus Metall bestand, einen besseren Verschluß hatte und Balda das Ganze nicht durch den Verkauf eigener Filme quersubventioniert hat. Hier hat es wohl die Masse gemacht, denn auch von der Rollbox gingen allein 1932 über 200.000 Stück über die Ladentische.
Da Balda bei den 4 RM blieb, mußten auch alle anderen Hersteller fortan Modelle in dieser Preisklasse anbieten und Agfa entgegen vorheriger Absicht, weiterhin die Pappboxen anbieten. Durch diesen „Knall“ des Jahres 1932 wurde das Fotografieren in Deutschland volkstümlich, die Boxen blieben bis in die späten 50er Jahre sehr populär. Man mußte auch nicht viel können, mehr als den Auslöser zu drücken war nicht zu tun. Dafür konnten die meisten Modelle nur für Motive ab drei Metern Entfernung eingesetzt werden – und es konnten mit den damaligen Filmen nur bei schönstem Wetter tagsüber und draußen Momentaufnahmen erstellt werden, es gab ja nichts einzustellen. Eine Möglichkeit zur Langbelichtung – hingestellt oder auf einem Stativ gab es aber auch noch. Und heute gibt es ja auch empfindlichere Filme als damals. Die meist sehr einfachen, einzelnen Linsen reichten aus, um die damals üblichen Kontaktkopien in Negativgröße halbwegs scharf zu bekommen. Teurere Modelle hatten die Möglichkeit, abzublenden oder eine Nahlinse einzuschwenken. So eine edle „Box-Tengor“ von Zeiss-Ikon wollte aber mit 16 RM auch erst einmal bezahlt werden.
Diese Box ist eine Agfa Box B2 (die alte deutsche Bezeichnung für den Rollfilm 120) vom Typ 94. Es handelt sich um eine der letzten Agfa-Boxen mit Pappgehäuse, erschienen 1937 und bereits 1938 durch ein Ganzmetallmodell abgelöst. Der Neupreis lag bei 5 RM. Die Ausstattung ist sehr einfach: Pappgehäuse (ungefähr wie die Rückseite eines Schulzeichenblocks) mit stabilisierender Holzzwischenwand. Aus Metall sind nur das Innenleben (zum Filmwechsel komplett herauszunehmen) und die beiden Deckel vorn und hinten. Die Frontplatte ist hier aber, anders als bei früheren, schmucklosen Modellen, durch ein hübsches Liniendekor verziert. Die Linse liegt hinter dem Verschluß, der noch abwechselnd nach oben und nach unten bewegt werden muß, fest eingebaut im Filmführungseinsatz. Es gibt eine Zeit für Momentaufnahmen (ca. 1/30s) und die Möglichkeit, den Verschluß so lange offen zu halten, bis der Hebel wieder betätigt wird. Die einzige verfügbare Blende ist 11. Anschlüsse für einen Drahtauslöser oder ein Stativ fehlen – und an Blitzgeräte dachte damals ohnehin noch niemand, das löste man damals mit explosivem Magnesiumpulver in einem Blitzbeutel.
Sie gehört zwar nicht zu den Top-Raritäten unter den Boxen, aber auch nicht zu den besonders häufig anzutreffenden Modellen. Das liegt zum einen daran, daß sie in dieser Form nur ein Jahr lang gebaut worden ist und zum anderen daran, daß die Agfa-Pappboxen einfach nicht so haltbar waren wie die Konkurrenzmodelle aus Metall. In einem so schönen Zustand findet man sie heute wohl nur noch selten.
Einen Wert festzulegen ist im Zeitalter von ebay schwierig, man kann Pech haben und nur zehn Euro erlösen oder Glück, dann liegt die Grenze wahrscheinlich im 30 Euro-Bereich. Positiv sind der schöne, funktionstüchtige und komplette Erhaltungszustand mit originaler Ledertasche (die, gemessen am Kamerapreis, empfindlich Aufpreis kostete). Nette Details wie die alte Zeitungsannonce am Boden der Tasche und der beiliegende, originalverpackte Agfa Isopan-Film aus den 60ern freuen den Sammler. Der ideelle Wert eines solchen Zeitzeugen ist jedoch weitaus höher einzuschätzen als irgendein möglicher Euro-Erlös.
Ich habe die Box ein wenig gewartet – auseinandergenommen, innen Staub geputzt, zwei Belederungsstellen wieder angeklebt und die Linsen von Objektiv und Brillantsuchern etwas gesäubert. Das spröde Leder der Tasche hat außerdem eine ordentliche Ladung Lederfett bekommen, damit nicht irgendwann der Trageriemen reißt.
Und ausprobiert habe ich sie natürlich auch, sie funktioniert einwandfrei. Der simple Auslöser läßt sich sogar betätigen, ohne die Box zu verreißen. Was das Wetter anging, hatte ich mich derbe verschätzt, der Shanghai GP3 war mit seinen 100 ASA an dem Tag viel zu wenig, die Lichtverhältnisse waren eher nach 400-800 ASA... Die acht Fotos des Films habe ich dann trotzdem innerhalb einer halben Stunde verknipst und die Bilder erheben bestimmt nicht den Anspruch, große Kunst zu sein. Entwickelt habe ich dann 22 Minuten lang bei 20°C in Rodinal 1+25 und auf den Negativen war dann auch tatsächlich etwas drauf...
Wenn man bedenkt, daß an dem Kästchen so ziemlich gar nichts dran ist und die Belichtung/Entwicklung auch alles andere als optimal war, bin ich doch recht erstaunt über die Abbildungsqualität. Für Kontaktabzüge reicht das jedenfalls immer noch.
Viele Grüße,
Nils
RE: Der Pappkamerad – Begegnung mit der Agfa-Box B2 Typ 94
in Erfahrungsberichte 22.01.2011 09:47von Brom • Mitglied | 490 Beiträge
Vielen Dank für den ausführlichen Bericht!
Zufällig habe ich die gleiche Box, allerdings ohne Tasche, und leider noch nie ausprobiert (bewegt sich aber alles).
An den Sucher muß man sich allerdings erstmal gewöhnen. Das Glas ist nur 1,5 x 2 cm groß und man schaut von oben drauf, während man die Kamera vor den Bauch hält. Immerhin gibt's zwei davon, für Hoch- und Querformat. Wobei die Größe schon Luxus ist, bei älteren Boxen ist das Fenster noch viel kleiner
RE: Der Pappkamerad – Begegnung mit der Agfa-Box B2 Typ 94
in Erfahrungsberichte 22.01.2011 10:04von Gelöschtes Mitglied
Danke – ich dachte, als Einstieg in Andreas' neue Kamera-Tour ist eine kleine Beschreibung vielleicht ganz nett, wenn ich schon zufällig eine solche Box zu Besuch bekomme. Andererseits ist die Agfa Synchro-Box aus der Nachkriegszeit hiergegen schon fast ein Ausstattungswunder...
Nun, man gewöhnt sich an vieles, bei meiner Box-Tengor sind die Brillantsucher auch nicht größer. Immerhin sind sie recht hell, ein wirklich gerade ausgerichtetes Bild habe ich allerdings noch mit keiner solcherart ausgerüsteten Box hinbekommen, die mußte ich bislang noch immer begradigen.
Großartig fand ich, daß an dem Ding alles nur zusammengesteckt ist – und einen noch einfacheren Verschluß als diese Hin-und-Her-Hebel-Scheibe kann man wohl nicht konstruieren (es sei denn, man bezieht die Objektivdeckel von ganz früher in seine Erwägungen ein). Eine Blende, eine Zeit, eine Linse, sonst gar nichts. Und funktioniert doch.
Wie dünn damals viele Negative mit so einem 17 DIN-Film bei etwas schlechterem Wetter gewesen sein dürften, steht auf einem anderen Blatt. Die Boxen hießen nicht umsonst "Schönwetterknipskästen".
Viele Grüße,
Nils
RE: Der Pappkamerad – Begegnung mit der Agfa-Box B2 Typ 94
in Erfahrungsberichte 22.01.2011 11:10von DD_Ihagee • Moderator | 3.013 Beiträge
Ein sehr schöner und informativer Bericht! Hattest Du eine Preisliste von damals zur Hand oder gab es zum Thema was im Netz?
Zitat von clickclackstart
...Wie dünn damals viele Negative mit so einem 17 DIN-Film bei etwas schlechterem Wetter gewesen sein dürften, steht auf einem anderen Blatt.
Mit den angeführten 17 DIN war es ja schon fast was "hochempfindliches"
VG
Holger
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Res severa est verum gaudium
Seneca
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RE: Der Pappkamerad – Begegnung mit der Agfa-Box B2 Typ 94
in Erfahrungsberichte 22.01.2011 11:28von Gelöschtes Mitglied
Ich habe das Buch "Box-Cameras Made in Germany" zu Weihnachten bekommen. Grundsätzlich ein wirklich sehr empfehlens- und lesenswertes Buch – wenn es für Menschen mit nervösem ebay-Finger nicht eben auch ein gewisses Gefahrenpotential besitzen würde...
Daher sind jedenfalls die Infos.
Die 17 DIN waren damals, als diese Box neu war, das höchste der Gefühle am Markt – und auch da muß man meines Erachtens für gut durchbelichtete Bilder schon Kaiserwetter haben...
Viele Grüße,
Nils
RE: Der Pappkamerad – Begegnung mit der Agfa-Box B2 Typ 94
in Erfahrungsberichte 22.01.2011 11:50von Gelöschtes Mitglied
Ich hatte ja vorher schon einige Kameras aus dieser Kategorie (siehe auch mein Nickname) – und es ist schon etwas problematisch, in einem Buch zusammengefaßt zu haben, wie viele begehrenswerte Boxen es noch gab, die man alle noch nicht hat... *stöhn*
Viele Grüße,
Nils
RE: Der Pappkamerad – Begegnung mit der Agfa-Box B2 Typ 94
in Erfahrungsberichte 24.01.2011 08:51von Photoamateur • Mitglied | 3.030 Beiträge
Zitat von clickclackstart
Ich habe das Buch "Box-Cameras Made in Germany" zu Weihnachten bekommen. Grundsätzlich ein wirklich sehr empfehlens- und lesenswertes Buch – wenn es für Menschen mit nervösem ebay-Finger nicht eben auch ein gewisses Gefahrenpotential besitzen würde...
Daher sind jedenfalls die Infos.
Die 17 DIN waren damals, als diese Box neu war, das höchste der Gefühle am Markt – und auch da muß man meines Erachtens für gut durchbelichtete Bilder schon Kaiserwetter haben...
Viele Grüße,
Nils
Die damaligen 28°-Scheiner-Filme hatten die 17/10° DIN allerdings bloß bei Kunstlicht, bei Tageslicht konnten sie schon wie 20/10° DIN ausgenutzt werden.
Ich nehme da nur mal den Isopan Ultra, den es ab 1936 gab: Nominell 23/10° DIN; in der Realität aber bei Tageslicht wie 26 DIN zu benutzen und bei Kunstlicht sogar wie 29 DIN. Heute würde man den bestimmt als ISO 800/30° anpreisen.
gut Licht
Walter
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